Gier - Die Biologie des Verlangens - Roland Ullrich
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Gier

Gier - Die Biologie des Verlangens

Gier frisst Hirn! So lautet ein altes deutsches Sprichwort und warnt vor den Folgen, wenn der Verstand abgeschaltet ist. Gier ist gut! Das behauptet dagegen der Hauptdarsteller Gordon Gekko in dem Film Wall Street.

Ist nun Gier etwas Schlechtes oder nicht? Evolutionsbiologisch ist die Frage mit Nein zu beantworten, denn ohne den starken Antrieb, weiterzukommen, Risiken einzugehen, um mehr Nahrung zu finden und sich zu vermehren, hätte die Menschheit wohl kaum überlebt:

  • Gier hilft Ängste und Hindernisse zu überwinden.
  • Gier erhöht die Risikobereitschaft und verleiht ungeahnte Kräfte.
  • Gier macht neugierig und wissbegierig und erhöht die Lernbereitschaft.

Allerdings haben sich die Zeiten geändert. Wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Geld und die Börse sind ein Produkt der Neuzeit. Unser Gehirn stammt aus einer anderen Zeit und ist für eine rationale Geldanlage, die Risiken und Chancen abwägt, nicht gemacht. Und für kurzfristiges Trading schon gar nicht. Gier ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Wer mit seinem Kapital waghalsige Wetten eingeht, überlebt in der Regel nicht lange an der Börse. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gier und Angst – Die zwei Seiten einer Medaille

Die Gier ist neben der Angst eine der beiden gefährlichsten Emotionen im Börsenhandel. Im Grunde ist Gier auch eine Form von Angst, nämlich die Angst, nicht genug zu bekommen.

Du weißt, dass es wichtig ist, die sich bietenden Gewinnchancen im Markt zu nutzen. Wenn Du nicht in der Lage bist, regelmäßig größere Gewinne zu realisieren, wirst Du im Trading nicht profitabel. Denn Du machst erfahrungsgemäß zu häufig Verluste. Selbst die besten Trader erreichen selten eine Gewinnquote von mehr als 60%. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass der natürliche und tief verwurzelte Reflex, Gewinne zu schnell mitzunehmen, schwer in den Griff zu bekommen ist. Deshalb sind klar definierte Gewinnziele für jeden Trade und emotionale Distanz so wichtig.

Wie und wann kommt nun die Gier ins Spiel? Die Gier ist immer im Spiel, wahrscheinlich mehr als Dir im Trading lieb ist:

  • Gier treibt Dich an weiterzumachen, wenn Du eine Verlustserie erlitten hast.
  • Gier treibt Dich auch nach einem Crash wieder in den Markt.
  • Die Gier lässt Dich mitunter Dein Regelwerk vergessen und unverhältnismäßig große Risiken eingehen (Over-Leveradging).
  • Gier verleitet zum Zocken und zu riskanter Spekulation.
  • Gier führt zu Selbstüberschätzung und Kontrollverlust.
  • Gier führt zu Overtrading und Revenge Trading.
  • Gier verhindert das Lernen aus vorangegangenen Fehlern.
  • Gier ist hochgradig ansteckend und verantwortlich für Übertreibungen und Spekulationsblasen an den Märkten.

Ohne Hirn und Verstand – Dopamingesteuerte Gier nach Belohnung

Neurowissenschaftliche Studien belegen, dass Gier im übertragenen Sinn Dein Gehirn frisst, das heißt Gier schaltet Deinen Verstand aus. Gleichzeitig brauchst Du aber ein Gehirn, damit die Gier entfacht werden kann. Der Übeltäter sitzt in den emotionalen Zentren des Gehirns. Es ist der Kern des limbischen Belohnungssystem, der Nucleus Accumbens, der bei entsprechender Aktivierung dafür sorgt, dass der Zugang zu Deinem Verstand herunterreguliert wird. Du hast keine Chance. Gier bestimmt fortan Dein Verhalten.

Merke: Der Nucleus Accumbens (NAc) spielt eine zentrale Rolle im limbischen Belohnungssystem und ist verantwortlich für die Entstehung von Sucht. Im NAc befinden sich die Dopaminrezeptoren. In Kombination mit dem neuronalen Glücksbotenstoff Dopamin löst der NAc ein starkes Verlangen nach Belohnung und Lustgewinn aus. Sexuelle Begierde, Spielsucht, Drogensucht und auch die Handysucht sind dopamingesteuert. Der Dopaminausstoß gibt dem Verstand und dem Körper das Signal, dieses Verlangen zu stillen.

Gier löst eine Hinzu-Motivation aus. Das tiefsitzende Verlangen nach Gewinnen überlagert Deine Verlustängste. Entscheidend ist die Aussicht auf Gewinne, die Erwartung profitabler Trades, nicht der tatsächliche Gewinn. Es ist die Belohnungserwartung, die ein neuronales Feuerwerk in Deinem Kopf auslöst und Dopamin freisetzt. Du antizipierst die Gewinne und reagierst psychisch und physisch so, als wären die Gewinne bereits eingetreten. Du ignorierst womöglich die Risiken und Dein Regelwerk. Du reagierst nach dem Motto »Vorfreude ist die schönste Freude« und genießt den Dopamin-Kick.

Vorsicht: Regelkonformes Trading ist langweilig für das Gehirn. Unterschwellig suchst Du mitunter das Risiko und den Adrenalin-Kick. Dopamin macht süchtig. Das Gehirn giert nach Belohnung. Der Mensch reagiert auf erwartete Gewinne genauso wie auf Drogen oder Sex. Die neuronalen und biochemischen Prozesse im Gehirn sind identisch.

Tritt der Gewinn tatsächlich ein, normalisiert sich der Dopaminausstoß und die rationalen Gehirnteile werden reaktiviert. Ernüchterung kehrt ein. Sobald Du mit einem Trade im Gewinnbereich angekommen bist, meldet sich die Verlustangst wieder zu Wort. Möglicherweise überwiegt dann bei risikoscheuen Tradern die bekannte Neigung, Gewinne zügig zu realisieren, anstatt sie wachsen zu lassen. Es ist ein Hin und Her zwischen Gier und Verlustangst.

Vorbeugen und feste Regeln sind der Schlüssel zum Erfolg

Stell Dir vor, Du hast einige kleinere Gewinn-Trades realisiert. Heute ist Dein Glückstag, denkst Du Dir. Es läuft. Möglicherweise wirst Du nun übermütig. Die Freude über Deine verbuchten Gewinne wird überlagert durch die Aussicht auf weitere, höhere Gewinne. Dein limbisches Belohnungssystem ist aktiviert und die Ausschüttung von Dopamin sorgt für eine höhere Risikobereitschaft. Du erhöhst die Positionsgrößen und lässt die Verluststopps erstmal weg. Schließlich erwartest Du Gewinn-Trades. Die Vorstellung weiterer Gewinne lässt Dich unwillkürlich alle Regeln vergessen. Je größer die Belohnungserwartung, desto stärker ist die Aktivität im NAc. Dein Verstand kommt dagegen nicht an. Und hinterher weißt Du gar nicht, wie das passieren konnte. Wie auch? Dein Denkapparat war im Wachkoma.

Wenn dieser neuronale Mechanismus erstmal in Gang kommt, sind die Automatismen kaum noch zu stoppen. Du musst frühzeitig reagieren. Das Zeitfenster ist klein. Deshalb ist Prävention so wichtig. Entscheidend sind trainierte Abläufe und ein festes Regelwerk im Trading. Du brauchst eiserne Disziplin und mentale Stärke, um der Gier nicht zum Opfer zu fallen:

  • Halte Abstand in der Beobachterrolle.
  • Nimm Verluste nicht persönlich.
  • Setze Dir realistische Gewinnziele.
  • Vermeide Klumpenrisiken und setze Grenzen für einzelne Postionsgrößen.
  • Identifiziere Dich nicht mit Deinen Trades (non-attachement).
  • Mache eine Pause und bewege Dich körperlich, wenn Du beispielsweise nach einer Gewinnserie übermütig oder euphorisch zu werden drohst.

Vorsicht: Übermäßige Gier im Trading führt zu Disziplinlosigkeit und deutet auf Suchtverhalten hin. Psychologische Studien weisen darauf hin, dass bei Spielsucht womöglich Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung vorliegen. Die Deutsche Bundesbank und die Europäischen Finanzaufseher warnen regelmäßig vor den Folgen exzessiver Spekulation mit gehebelten Produkten. Die große Zahl der Börsensüchtigen ist ein Grund zur Besorgnis.

Der Jugendboom an der Börse: Spagat zwischen Zocken und Geldanlage

Trading und spekulative Geldanlage werden immer populärer. Discount-Broker haben seit 2020 weltweit ungeahnten Zulauf. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) verkündete kürzlich, dass die Anzahl der Aktionäre im letzten Jahr in Deutschland sprunghaft gestiegen ist. Besonders in der Altersgruppe der unter 30-jährigen schoss die Zahl der Anleger um fast 70% auf 1,4 Millionen nach oben.

Aktienhandel kinderleicht gemacht mit kostengünstigen Trading-Apps, lautet das Versprechen der Neo-Broker. Die spielerischen Elemente der Apps sind unverkennbar. Diese sogenannte „Gamification of Trading“ ist womöglich ein Treiber der neuen Börsenbewegung. Das übt eine gewisse Anziehungskraft auf die jüngeren, noch unerfahrenen Generationen aus und animiert zum Zocken. Doch Vorsicht: Wenn Du den Adrenalin-Kick suchst und glaubst, mit gehebelten Produkten schnell reich zu werden, dann ist die Sucht- und Absturzgefahr groß. Du handelst fahrlässig und bist von Gier getrieben. Du handelst aus den falschen Motiven und unterschätzt die Verlustrisiken. Die Börse ist kein Spiel.

Die junge Generation, die seit gut einem Jahr in Scharen an die Börse strömt, hat bislang keine Erfahrungen mit unterschiedlichen Marktphasen gemacht. Wie auch? Seit dem Corona-Crash kennen die Märkte nur eine Richtung: steil aufwärts. Notenbanken und Regierungen überbieten sich mit Billionenschweren Rettungspaketen und einer Liquiditätsflutung der Märkte. Bärenmärkte, das Platzen der Dotcom Blase oder die globale Finanzmarktkrise haben die wenigsten Börsenneulinge selber miterlebt. Die Börse ist keine Einbahnstraße. Einbrüche, Korrekturen und Bärenmärkte treten in regelmäßigen Abständen auf.

Trading ist ein knallhartes Business, das Schritt für Schritt erlernt werden muss. Es ist ein Entwicklungsprozess, der sehr viel Geduld, Disziplin und emotionale Stabilität erfordert. Es reicht nicht, kostenlose und coole Apps zu entwickeln und den Zugang zum Wertpapierhandel spielerisch einfach zu gestalten. Ohne Plan, Know-how, realistische Anlageziele, erfolgserprobte Handelsstrategien und feste Regeln haben auch die „digital natives“ keine Chance, langfristig erfolgreich an der Börse zu sein. Finanzbildung und die Vermittlung von Börsenwissen sind dringend erforderlich, damit der Jugendboom an der Börse nicht so endet wie im Jahr 2001, als die Dotcom Blase platzte und die Märkte einbrachen. Millionen Anleger erlitten damals schwere Verluste und kehrten der Börse den Rücken zu.

1 Comment

  1. Peter Segeletz sagt:

    Sehr interessante Betrachtungsweuse!

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